Ironman Nizza

Titelfoto: Sylvain Riouall
Beitragsfotos: Sylvain Riouall, GettyImages/Nigel Roddis, privat

Nun auch im Ironman mitmischen? Wie kam es dazu?

Meine sportliche Karriere hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt und zwar in einem Ausmaß, das ich in diesem Rahmen vor ein paar Jahren weder geplant noch erwartet hätte. Wenn man ein paar mehr Jahre zurückblickt, begann die Reise letztendlich zu Beginn meines Medizinstudiums, wo ich das Laufen für mich entdeckt hatte. Schnell wurde daraus mehr – ich begann mit dem Leistungssport. Ich fand Anschluss an eine Trainingsgruppe, begann regelmäßig intensiv und strukturiert zu trainieren, wurde schneller und erzielte erste Erfolge. Doch dabei blieb es nicht. Als ich mir ein Rennrad kaufte, entdeckte ich die Freude am Fahren und mein Talent auf dem Rad. Und so entwickelte sich die Reise weiter. Ein paar Jahre später startete ich nicht nur bei ersten Einzelzeitfahren und Radrennen, sondern auch bei Duathlons und Triathlons.

Eines der Highlights und gleichzeitig ein entscheidender Schlüsselmoment im Triathlon für mich war mein Start als Profi-Athletin bei der Challenge Davos in der Schweiz über die Mitteldistanz im August 2023, wo ich überraschend Platz 2 erzielen konnte. Und das machte mir definitiv Lust auf mehr. Wo führt die Reise hin? Was kann ich noch herausholen? Was will ich überhaupt?

Die Antwort auf diese Frage war nach einigem Abwägen (darunter auch, ob ich mich in der Saison 2024 zum Beispiel ausschließlich auf das Radfahren konzentrieren sollte): ich werde meine sportliche Karriere in Richtung Triathlon lenken. Und so begann ich Anfang des Jahres 2024 mit regelmäßigem Schwimmtraining. Für mich, die im Schwimmen noch relativ neu ist und nebenher ja auch noch in Vollzeit als Ärztin arbeitet, bedeutete das jedoch „nur“ dreimal die Woche ins Wasser zu gehen. Doch mit diesem konsistenten Training über die letzten Wochen und Monate konnte ich schon gute Fortschritte erzielen, so dass aus mir als Schwimmanfängerin eine solide Triathletin geworden ist. Dass das Schwimmen zwar immer noch mit Abstand meine schwächste Disziplin ist, ist kein Geheimnis, die Reise ist aber ja auch noch nicht zu Ende und der Trend geht definitiv in die richtige Richtung. Jedenfalls schätzte ich meine Leistungsentwicklung so ein, dass ich in diesem Jahr mein Debüt im Langdistanz-Triathlon angehen könnte. Und so fiel die Entscheidung: Ich würde beim Ironman Nizza als Profi starten – mein großes Ziel war gesetzt.

Die Rennwoche: Ein paar Tage Sommerurlaub in Como und Nizza

Wir sind schon eine Woche vor dem Ironman nach Nizza angereist und haben auf dem Hinweg auf halber Strecke einen Zwischenstopp über Nacht am Comer See eingelegt. Bevor wir weiter nach Nizza fuhren, sind wir noch eine richtig schöne Lombardei-Runde auf dem Rad gefahren und haben Teile der Strecke vom Giro d’Italia abgefahren (Madonna del Ghisallo). Ein Abschnitt unserer Route war extrem, und zwar die Muro di Sormano, also auf Deutsch die Mauer von Sormano: ein gerade mal 1,7 km messender Anstieg, der aber sage und schreibe durchschnittlich (!) eine Steigung von 15,8% hat, mit Steigungsmaxima von 27%. Locker hochfahren? Keine Chance! Locker ging nicht, da wäre ich rückwärts vom Rad gekippt. Ich verbuchte den Teil der Ausfahrt dann also als Rad-Vorbelastung in der Rennwoche und wir fuhren guter Dinge mit dem Auto weiter nach Nizza.

In Nizza haben wir in der Rennwoche natürlich auch die eine oder andere Radfahrt eingelegt und dabei auch die Strecke des Ironmans angeschaut. Insbesondere hat es nämlich die letzte lange Abfahrt der Strecke in sich. Die Downhill-Passagen sind teilweise sehr kurvig und nur erschwert einsehbar, dazu kommt noch ein nicht ganz optimaler Asphalt mit Speedbumps und dem einen oder anderen Schlagloch. Sich die Strecke also vorher einmal anzusehen, war wichtig.

Zur „Streckenbesichtigung“ gehörte natürlich auch, dass ich mir das Mittelmeer einmal genauer ansehe. Beim Rennen müsste ich schließlich 3,8 km im Meer schwimmen – eine Distanz, die ich noch nie vorher im Freiwasser geschwommen war. Und ich bin ehrlich: Ich hatte großen Respekt vor dem Wasser. Als ich die Tage vorher das Meer angeschaut hatte, gab es immer wieder relevante Wellen und ich fragte mich, ob ich beim Schwimmen zurechtkommen würde. Beim Test-Schwimmen haben wir auch Begegnungen mit Quallen gemacht, was mir ebenfalls etwas Bauchweh bereitet hatte.

Was ich in den Tagen vor dem Rennen ebenfalls zu spüren bekommen hatte, war die Hitze in der Sonne. Ich war mehrmals an der Strandpromenade laufen, dort wo auch die Wettkampfstrecke lang führte. Mit dem Blick auf das Meer hatte ich hier zwar allerschönstes Panorama, aber die Sonne in Südfrankreich hat Mitte Juni natürlich schon extrem Kraft. Die Wochen zuvor war es in Heidelberg nicht wirklich sommerlich warm, sondern eher regnerisch und angenehm von den Temperaturen. Das war ungewohnt. Insgesamt wurde ich in der Rennwoche also schon mit einigen Herausforderungen des Ironmans Nizza konfrontiert, konnte mich aber auch noch darauf vorbereiten: die technisch anspruchsvollen Abfahrten, das Schwimmen im Meer, das Laufen in der Hitze. Die schwierigen Anstiege der Radstrecke sah ich nicht als Herausforderung, sondern im Gegenteil: ich freute mich sehr darauf, denn das war genau das, was ich in den letzten Wochen besonders gut trainiert hatte und was mir liegt.

Die Strecken: 3,8 km, 170 km + 2400 m, 42 km

Apropos Strecke: dazu noch ein paar Worte. Die 3,8 km Schwimmen sind selbsterklärend. Geschwommen wurden 2 Runden à 1,9 km, bei denen man jeweils ca. 875 m ins Mittelmeer rausschwimmen musste, dann eine 90°-Kurve, 150 m und wieder 875 m zurück. In den Tagen vor dem Rennen stellte sich heraus, dass das Wasser gerade so noch kalt genug war, dass ein Neoprenanzug erlaubt war.

Die Radstrecke war mit 170 km und 2400 Höhenmetern sehr anspruchsvoll, aber einer der Hauptgründe, warum meine Wahl auf einen Start genau hier in Nizza fiel. Die Besonderheiten waren z.B. der Côte des Pugets-Anstieg mit Steigungen bis zu 15% und der 20 km lange Anstieg zum Col de L’Ecre.

Die 42 km lange Laufstrecke besteht aus vier Runden auf der legendären Promenade des Anglais: Immer gut fünf Kilometer stadtauswärts in Richtung Flughafen und wieder zurück.

Zwei Tage vor dem Rennen: von fehlendem Werkzeug, Fangirl-Momenten und Ironman-Tattoos

An den Tagen vor dem Rennen prüfte ich noch einmal mein ganzes Material. Ich putzte mein Rad (only a clean bike is a fast bike!), ölte meine Kette, tauschte mein Hinterrad gegen meine Scheibe, stellte sicher, dass meine Bremsen nicht schleifen und packte mein Ersatzmaterial und Notfall-Werkzeug in die Box an meinem Rad. Falls ich unglücklicherweise im Rennen einen Platten bekommen hätte, wollte ich alles griffbereit haben: Inbus, Reifenheber, Ersatzschlauch, CO2-Kartusche zum Aufpumpen, Ventiladapter für die Scheibe, Schlüssel für die Ventilverlängerung am Vorderrad. Ach Mist, den Ventilschlüssel hatte ich in Heidelberg vergessen. Nicht so schlimm, dachte ich mir, für den Fall der Fälle, dass ich tatsächlich am Vorderrad einen Defekt haben sollte, würde ich den Schlauch auch so gewechselt bekommen. Aber als ich nachts geträumt hatte, wie ich das Rennen abbrechen muss, weil ich einen Platten hatte und meine Ventilverlängerung nicht umgeschraubt bekommen hatte, wurde ich doch etwas nervös. Also machte ich mich auf die Suche nach einem Radladen, bei dem ich dieses spezielle Mini-Teil noch kurz kaufen kann. Natürlich gab es da, wo ich meine Startunterlagen abgeholt habe, auch einen Radmechaniker für alle, die kurzerhand noch etwas an ihrem Rad reparieren mussten oder denen noch Teile fehlten. Dort konnte ich mit Händen und Füßen auf gebrochenem Französisch erklären, welches Teil ich brauchte, und wurde fündig. Jetzt konnte ja nichts mehr schiefgehen.

Danach bin ich zum obligatorischen Briefing für die Profi-Starter gegangen, das zwei Tage vor dem Wettkampf stattfand. Dort wurden wir noch einmal über Ablauf und Regeln des Wettkampfs informiert und ich konnte all die anderen Pro-Athletinnen persönlich sehen, deren Namen ich bereits auf der Startliste gelesen hatte (das Rennen war nur als Frauen-Profi-Rennen ausgeschrieben, für die Männer gab es kein Profi-Rennen, sondern nur Altersklassen-Athleten). Allen voran: Lucy Charles-Barclay, die amtierende Ironman-Weltmeisterin aus Großbritannien. Eins stand also fest: Ich würde mich am Sonntag mit der Allerbesten messen. Wow!

Und noch eins stand fest: Ich war diejenige mit der wenigsten Erfahrung. Das war ein merkwürdiges Gefühl. Um mich weniger verloren zu fühlen, habe ich mich noch zu den anderen gemischt und Heini Hartikainen aus Finnland kennengelernt. Eine total sympathische Athletin, mit der ich mich direkt gut verstanden habe, und unsere Plauderei hat richtig gutgetan.

Nach dem Briefing bin ich noch kurz über das Veranstaltungsgelände geschlendert, um etwas von der Stimmung einzusaugen, die die ganze Innenstadt zu dominieren schien. Ich habe selten an so vielen Waden irgendwelche Ironman-Tattoos und so viele Leute in Ironman-Finisher-Shirts gesehen. Und es war ein verrücktes Gefühl: so viele Athleten auf einem Haufen, jeder Einzelne hat sich wahrscheinlich über Wochen auf diesen Höhepunkt vorbereitet, jeder topfit, jeder hat eigene Ziele, eigene Ängste und auch eine eigene Motivation, um einen solchen Wettkampf zu bestreiten.

Dann habe ich Lucy Charles-Barclay gesehen, wie sie ebenfalls gerade ihre Startunterlagen abgeholt hatte. Natürlich kannte sie jeder und mir war auch klar, dass sie wahrscheinlich schon hunderttausendmal an dem Tag angesprochen wurde und nach einem Foto gefragt wurde. Aber ich wollte mir den Fangirl-Moment nicht entgehen lassen und habe sie auch noch angesprochen. Ich hatte ihr erzählt, dass das mein Ironman-Debüt sei und ich auch im Profifeld starten würde. Sie hatte erzählt, dass sie das Rennen als Validierung für die Ironman-WM bestreitet (qualifiziert war sie bereits, die Qualifikation musste sie aber durch Finishen eines Ironmans noch validieren) und dass sie die Strecke unter Wettkampfbedingungen „testen“ wollte.

Am Abend vor dem Rennen musste ich dann noch mein Rad einchecken und meine Beutel für die Wechselzonen abgeben. In der ersten Wechselzone waren schon die Radständer für die Profi-Frauen mit Namensschildern aufgebaut. Ich hängte mein Rad ein: 21 – Merle Brunnée. Dann befestigte ich noch meine Radschuhe an den Pedalen und prüfte noch einmal, ob ich wirklich nichts vergessen hatte. Spätestens jetzt, als ich mich in der Wechselzone umsah, umgeben von zahlreichen Athleten, den typischen roten Wechselzonen-Teppichboden unter meinen Füßen, kam so richtig Wettkampf-Stimmung auf. Und ich freute mich darauf. Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten so intensiv auf diesen Tag vorbereitet und nun war es endlich so weit. Jetzt, da alles vorbereitet war, alle wichtigen Trainingseinheiten abgeschlossen waren und alles organisiert war, gab es nur noch eine Aufgabe: Carboloading und Beine hochlegen.

Der Tag des Rennens

Wie erwartet war die Nacht vor dem Rennen etwas unruhig – ich hatte aber die ganze Woche über wunderbar geschlafen, sodass mir das keine Sorgen bereitete. Ich aß, wie immer vor Wettkämpfen, Brot mit Marmelade zum Frühstück, trank einen Kaffee und stilles Wasser und machte mich rechtzeitig auf den Weg zum Start. Unser AirBnB war nicht unmittelbar am Start, sodass ich mit dem Rad gefahren bin. Bent ist neben mir hergelaufen, hat mich am Start abgesetzt und hat dann mein Rad an sich genommen (ja, ich hatte zwei Räder in Nizza dabei). „Genieß es, heute ist die Belohnung für die letzten Wochen!“ hat er mir mit auf den Weg gegeben.

3,8 km Schwimmen: Wie verhalte ich mich am besten im Feld?

07:30 Uhr, der Startschuss fiel. Ich kam mir etwas unbeholfen auf den paar Metern zwischen Startlinie und Wasserkante vor, da mein Schritt auf den groben Steinen etwas wackelig war. Wenige Schritte im Wasser, mir kamen die Wellen entgegen, und ich stützte mich wie die anderen hinein. Aber tatsächlich waren die Wellen kleiner als die an den letzten Nachmittagen, was mich beruhigt hatte. Die Sonne schien, das Wasser war wunderschön, helltürkis, zwar nicht klar durchsichtig sondern etwas trüb wegen des Salzes, aber es reflektierte ein herrliches Licht zurück. Es dauerte nicht lange, bis sich das Feld streckte und sich herauskristallisierte, wer seine Stärken beim Schwimmen hat. Ich ordnete mich eher hinten im Feld ein und ging ein Tempo an, von dem ich einschätzte, dass ich es 3,8 km durchschwimmen könnte. Das war allerdings für mich als unerfahrene Schwimmerin gar nicht so leicht einzuschätzen, mir fehlte ja ohne Schwimmbad-Uhr und ohne GPS-Uhr am Handgelenk jegliche Objektivität.

Gegen Ende der ersten Runde kamen die schnellen Agegrouper-Männer, die 5 Minuten nach uns gestartet waren, von hinten auf uns aufgeschwommen. Das gab mir den Anlass, meine Taktik noch einmal zu überdenken. Schließlich ergab sich jetzt die Möglichkeit, sich einer anderen Gruppe anzuschließen. Aber sollte ich das wirklich machen? Sollte ich den schnelleren Männern hinterherschwimmen? Schließlich müssen diese ja um einiges schneller als ich gewesen sein, sonst hätten sie mich nicht eingeholt, obwohl sie 5 Minuten nach mir gestartet waren. Wenn ich mich dort also hinten einhänge, würde ich riskieren, dass sie mir davon schwimmen und ich dann ganz ohne Gruppe auf mich gestellt bin. Das wär’s dann gewesen mit Wasserschatten und Hilfe bei der Orientierung im Wasser.

Mir ging so einiges durch den Kopf während des Schwimmens und ach der Hälfte der Strecke blieb das Gefühl, dass das Tempo etwas zu niedrig ist und ich schneller schwimmen kann und will. Also machte ich mein eigenes Ding und traf ich die Entscheidung raus aus der Dreiergruppe zu gehen. Wie befürchtet, konnte ich mich danach natürlich nicht mehr so richtig in eine Gruppe reinhängen, da die von hinten Überholenden ein schnelleres Tempo hatten. Nichtsdestotrotz hatte ich das Gefühl, dass diese Taktik die richtige Entscheidung war. Objektivieren kann ich das leider nicht, da ich das Schwimmen nicht mit meiner GPS-Uhr aufgezeichnet hatte bzw. diese nicht getragen hatte, da ich mit der Uhr schlecht aus dem Neoprenanzug rauskomme und ja während des Schwimmens eh nicht auf die Uhr am Handgelenk gucke. Es wäre nur interessant für die Auswertung im Nachgang des Wettkampfes gewesen, wie viel schneller die zweite Hälfte dann letztendlich war.

Es bildete sich irgendwann eine Dreiergruppe, in der ich dabei war. Das war für mich eine sehr gute Gelegenheit, bot mir Sicherheit bei der Orientierung im Wasser als auch beim Pacing. Ich hatte mich an dritter Position in der Dreiergruppe eingereiht, merkte jedoch nach ein paar Minuten, dass ich eigentlich lieber einen Hauch schneller schwimmen wollte. Daher überholte ich die Schwimmerin vor mir und wollte mich vor ihr an zweiter Stelle einordnen, doch sie machte dicht und ließ mich nicht dazwischen. Also ordnete ich mich wieder hinten ein. Wahrscheinlich eh besser, ging mir durch den Kopf. Schließlich kann ich hinten in der Gruppe Wasserschatten und Kraft sparen, auch wenn das Tempo möglicherweise etwas zu gering war. Dann startete ich einen weiteren Versuch, mich an erster oder zweiter Position innerhalb unserer Gruppe einzuordnen. Doch wollte ich wirklich ganz vorne schwimmen und auf den Wasserschatten verzichten? Eigentlich wäre das taktisch nicht so klug. Ohnehin passierte wieder genau das Gleiche und ich wurde nicht an die Position gelassen. Also wieder ein Hin und Her, ich ordnete mich wieder hinten ein und schwamm einfach hinterher. Ich wusste aber ja auch, dass noch einiges an Distanz vor mir liegt und wollte auf gar keinen Fall das Tempo zu schnell angehen und Kraft verschenken. Also schaute ich mir das Spiel weiter (von hinten) an.

Die zweite Schwimmrunde wurde dann auch tatsächlich etwas anstrengender als die erste. Möglicherweise aufgrund des (wahrscheinlich?) schnelleren Tempos, möglicherweise aber auch, weil ich es schlicht und ergreifend nicht gewohnt bin, so lange am Stück zu schwimmen. Doch ich fühlte mich während des gesamten Schwimmens gut, insbesondere, weil es so viel besser lief, als im Vorhinein gedacht. Die hohen Wellen, die ich mir vorgestellt hatte, waren letztendlich viel milder als befürchtet. „Hey, das macht ja sogar Spaß“, ging mir durch den Kopf und ich musste innerlich schmunzeln.

Irgendwann kam der Bogen am Schwimmausstieg immer näher, und ich ging im Kopf noch einmal durch, was ich gleich alles in der Wechselzone machen müsste. Der Ausstieg aus dem Wasser war, ähnlich wie der Einstieg, etwas unbeholfen durch den unebenen, steinigen Boden, doch einige Helfer standen bereit, um den Schwimmern aus dem Wasser zu helfen.

Wechselzone 1: Wo habe ich so viel Zeit verschenkt?

Direkt (im Neoprenanzug) schnell loszulaufen, nachdem man über 1 Stunde geschwommen war, ist ein merkwürdiges Gefühl. Und es gab einiges am Strecke zu laufen, denn die Wechselzone war relativ lang. Nach dem Schwimmausstieg musste man nämlich erst einmal an der gesamten Wechselzone beziehungsweise an sämtlichen Rädern der 70.3-Teilnehmer vorbeilaufen, bis man in die Ironman-Wechselzone kam.

Ich nahm meinen Beutel und probierte, schnell meinen Neoprenanzug auszuziehen. Beim Umlegen meines Startnummernbandes riss ich versehentlich eine der Befestigungen am Rand aus, aber vorausschauend hatte ich die Startnummer am Vortag glücklicherweise mit zwei extra Sicherheitsnadeln an dem Band befestigt. Aber das brachte mich kurz aus dem Konzept und kostete mich vielleicht drei, vier Sekunden. Ich zog noch schnell meine Socken an und setzte meinen Helm auf. Währenddessen rief mir Eva vom Streckenrand neben der Wechselzone meine Schwimmzeit zu – 1:05:22! Ich freute mich sehr, denn das war schneller als das, was ich erwartet hatte. Ich stopfte den Neoprenanzug zurück in den Beutel und hängte ihn zurück an den mir zugewiesenen Haken mit meiner Startnummer 21. Und dann rannte ich weiter zu meinem Rad. Das schnappte ich schnell und rannte weiter zur Mount-Line, hüpfte drauf und fuhr los.

Als ich mir im Nachgang des Wettkampfs die genauen Zeiten inklusive der Zeiten in der Wechselzone ansah, war ich verwundert, dass mein erster Wechsel um einiges langsamer war als der der Schnellsten: Mein Wechsel hat mich 04:41 min gekostet, die durchschnittliche Wechselzeit der Profifrauen lag bei 04:35 min, die Schnellste hat gerade einmal 03:43 min gebraucht. Vielleicht fehlt mir hier tatsächlich einfach die Erfahrung, denn ich hatte wirklich nicht das Gefühl, zu trödeln, und ich habe auch keinen sonderlich zeitintensiven Fehler gemacht. Aber Übung macht den Meister, und ich denke, dass ich hier beim nächsten Mal ein paar wichtige Sekunden rausholen kann und werde. Denn auch wenn es „nur“ der Wechsel ist, gehört die Zeit natürlich genauso zum Rennen dazu und zählt nicht weniger in die Ziel-Zeit ein, als die anderen drei Disziplinen auch, sodass hier keine wertvollen Sekunden zu verschenken sind.

170 km + 2400 Höhenmeter auf dem Rad: Die Aufholjagd beginnt.

Die ersten paar Kilometer waren flach und ich konnte fahren, ohne groß nachzudenken. Ich fühlte mich super. Die Beine waren gut und ich wusste, dass es genau das war, was ich in den letzten Monaten Stunden über Stunden trainiert hatte. Im Vorfeld hatte ich das Streckenprofil genau analysiert und kannte aus den letzten Wochen meine Werte genau, sodass ich relativ gut einschätzen konnte, welche Leistung auf dem Rad realistisch war. Das ist beim Radfahren tatsächlich ein sehr erleichternder Faktor, denn ich habe ständig meine Wattwerte auf dem Radcomputer vor mir und kann ständig meine Leistung sehen und kontrollieren. Das verhindert im besten Fall sowohl zu schnell loszufahren, als auch zu langsam anzugehen.

Ich war zuversichtlich und insbesondere als der erste Anstieg kam, ging für mich das Rennen so richtig los. Nach einer halben Stunde hatte ich die erste Konkurrentin überholt und eine Position gut gemacht. Nach vierzig Minuten hatte ich eine weitere Position gut gemacht. Bei Kilometer 24, nach circa einer Dreiviertelstunde, war der erste „kleinere“ Anstieg und schon die ersten 300 Höhenmeter geschafft. Dort war auch die erste Verpflegungsstelle, bei der ich mir eine Wasserflasche im Vorbeifahren griff und meinen Tank vorne an meinem Cockpit auffüllte, um bei den Temperaturen ausreichend Flüssigkeit bis zur nächsten Verpflegungsstelle zu haben.

Zwischen Kilometer 40 und 57 kam der lange Anstieg der Strecke, bei dem über 900 Höhenmeter zu fahren waren und der eine wichtige Schlüsselstelle des Rennens war. Nicht nur allgemein war diese Passage für alle Teilnehmer entscheidend, sondern insbesondere auch für mich, da ich im Laufe des Anstiegs, der insgesamt fast eine Stunde dauerte, einige weitere Positionen gutmachen konnte. Ich konnte meine Position ungefähr abschätzen und wusste, dass ich am Ende des Anstiegs wahrscheinlich irgendwo auf Rang 4 oder 5 war. Das war ein fantastischer Zwischenstand! Würde ich diese Position verteidigen können?

Das Rennen war ja noch längst nicht vorbei. Auf der Radstrecke kam nach dem Anstieg erst einmal ein sehr langes Plateau, es ging immer wieder etwas hinauf, etwas hinunter, aber weder ein richtig langer Anstieg, noch eine richtig lange Abfahrt waren dabei. Ich hatte zwar meine Wattwerte immer im Blick, aber das Pacing war dennoch nicht ganz leicht. Weder vor mir noch hinter mir waren andere Athleten in Sicht, was die Rennsituation etwas einsam machte. Aber es gab immer mal wieder Zuschauer. Und irgendwann, ich glaube kurz nach der Verpflegungszone bei Kilometer 94, rief mir ein Zuschauer zu, dass die Drittplatzierte nicht weit vor mir wäre. Das weckte noch einmal neue Motivation. Könnte ich sie einholen? Ja. Irgendwann war ich bei ihr, war mir aber unsicher, wie ich weitermachen sollte. Vorfahren und riskieren, dass ich vor ihr nicht „weg komme“? Während ich mir das Ganze erst einmal ansah und überlegte, wie ich weitermache, merkte ich, dass das Tempo langsamer wurde. Eigentlich ein Grund mehr, davon zu fahren. Aber ich wollte nicht überzocken.

Dann kam die Finnin Heini von hinten. Ich hatte sie am Anstieg eigentlich überholt, aber die schien auf dem Plateau wieder Zeit gutgemacht zu haben. Also waren wir zu dritt. Mindestens ein Kampfrichtermotorrad fuhr kontinuierlich neben und hinter uns, um zu kontrollieren, dass wir den 12m-Abstand einhalten und nicht im Windschatten fahren. In der kurz darauf kommenden Abfahrt streckte sich alles, auf der kurvigen Strecke wurden die Abstände eher 100 bis 200 m, aber ich versuchte, Heini vor mir gerade noch im Sichtfeld zu behalten. Dann kam der nächste Anstieg und aus unserer Dreiergruppe wurde nur noch eine Zweiergruppe.

An der Verpflegungsstelle wollte ich mir eine Flasche mit Kohlenhydraten anreichen lassen. Ich hatte an den Verpflegungsstellen vorher immer nur Wasserflaschen genommen und damit meinen Tank im Cockpit aufgefüllt, was auch wunderbar geklappt hatte. Ich hatte ja ausreichend Kohlenhydrate in meine Aeroflasche im Rahmendreieck mitgenommen, sodass ich nicht auf die Versorgung an den Stationen angewiesen war (außer eben für Wasser). Aber ich merkte dann, dass ich meine Kohlenhydrat-Salz-Mischung etwas zu optimistisch in der 500 ml Flasche angemischt hatte – ich hatte das Gefühl, das Löslichkeitsprodukt sei überschritten, denn die dickflüssige Mischung klebte innen an der Wand der Flasche und ich fürchtete, dass ich deswegen nicht alles zuführen könnte, was ich mitgenommen (und eingeplant) hatte. Ich habe daher noch eine Flasche aufgenommen, etwas davon getrunken und den Rest hinten in meinen Flaschenhalter hinter dem Sattel verstaut.

Das Ende dieses Anstiegs war circa bei Kilometer 124. Von da startete die lange Abfahrt, die ich mir in den Tagen vorher extra angeschaut hatte, da sie es in sich hat. Die Hauptarbeit, was die Krafteinteilung angeht, war für den Rad-Teil des Rennens also geschafft. „Nur“ noch die ca. 30 km lange Abfahrt und dann noch ca. 16 km flach in Richtung Wechselzone. Natürlich hatte ich bei der einen Probefahrt nicht jede Kurve, jedes Schlagloch und jedes Detail der Abfahrt gemerkt. Daher war Konzentration sehr, sehr wichtig. Außerdem hatte ich auf meinem Radcomputer die Strecke bzw. eine Karte direkt vor meinen Augen, sodass ich immer sehen konnte, wie eng die Kurven sind, um das Tempo optimal zu steuern und weder zu viel noch zu wenig zu bremsen in den Kurven.

Auf dem letzten flachen Stück in Richtung Wechselzone und als der Fahrtwind wieder weniger wurde, spürte ich die Hitze. Jetzt noch einen Marathon laufen? Da kam mir vor allem ein Gedanke: das ist verdammt lang. Aber ich hatte mich auf dem Rad gut verpflegt, viel Wasser und Kohlenhydrate getrunken und fühlte mich bereit.

Wechselzone 2: Zeit zum Quatschen?

Dieses Gefühl, vom Rad zu steigen und direkt (schnell) weiterzulaufen, ist besonders. Ich laufe in meinem alltäglichen Training natürlich dutzende Kilometer und zahlreiche schnelle Trainingseinheiten, aber die Beine fühlen sich einfach anders an, wenn man vom Rad steigt und zuvor intensiv gefahren ist. Und so rannte ich also in Richtung der Radständer und hängte mein Rad neben meiner Startnummer 21 ein. Dann direkt weiter zu den Beuteln, wo meine Sachen für den Lauf drin waren. Als ich bei meinem Beutel ankam, war die drittplatzierte Finnin Heini quasi gerade fertig mit ihrem Wechsel. Während sie eilig ihren Beutel zurückhing und ich mir meinen schnell schnappte, tauschten wir noch ein paar Worte im fliegenden Wechsel aus. Ich war nämlich wirklich beeindruckt, wie sie auf der zweiten Hälfte des Rennens bzw. auf der langen Abfahrt davon gefahren war. Schließlich hatte ich sie beim ersten längeren Anstieg überholt, aber sie hatte dann im weiteren Rennverlauf wieder Zeit gutgemacht und mich „zurück überholt“, sodass sie vor mir in die zweite Wechselzone gekommen war. Als sie los lief und ich gerade noch dabei war, so schnell wie möglich meine Schuhe anzuziehen, riefen wir uns noch Glückwünsche für den Marathon zu. Ich stopfte hastig meinen Helm in meinen Beutel, setzte mir Cap und Sonnenbrille auf, schnappte meine Gels und rannte ebenfalls los.

Dann gab es einen kurzen Moment der Verwirrung. Als ich beim Penalty-Zelt am Ende der zweiten Wechselzone vorbeilief, wurde mir etwas hinterhergerufen. Huch? Rufen die nach mir? Habe ich eine Zeitstrafe bekommen? Vielleicht hatte ich unwissentlich vergessen, meinen Neoprenanzug oder meine Schwimmbrille in den Beutel in der ersten Wechselzone zu tun? Ich drehte mich um und rannte die zwei, drei Meter zurück zum Penalty-Zelt, um herauszufinden, was das Problem war. Das „Problem“ war eigentlich gar kein richtiges Problem, sondern die Kampfrichter wollten mich im Vorbeilaufen nur daran erinnern, dass ich meine Startnummer noch nach vorne drehen müsste. Denn beim Radfahren ist diese hinten am Rücken und beim Laufen muss sie vorne zu sehen sein. Dennoch hat mich der gut gemeinte Hinweis kurz aus dem Konzept gebracht.

Nun aber: auf geht’s.

42 km Laufen: angepasste Pacing-Pläne auf dem Weg zur WM-Quali

Als ich los lief, ging mir vor allem ein Gedanke durch den Kopf. Gar nicht mal primär, dass meine Beine müde waren – ich fühlte mich noch gut – ich dachte vor allem eins: das ist jetzt noch mal richtig, richtig lang. Gut drei Stunden, vier mal die Promenade rauf und wieder runter. Und das bei sommerlicher Nachmittagshitze in der Sonne Südfrankreichs.

Ich wollte meine GPS-Uhr nach dem Loslaufen umbinden und direkt starten, um mein Tempo sehen und kontrollieren zu können. Aber mit den Gels in der Hand während des Laufens eine Uhr umzubinden war gar nicht so leicht. Also doch erst einmal die Gels hinten in meinem Einteiler in die Tasche stecken. Dann die Uhr umbinden. Dabei hatte ich wohl irgendeinen falschen Kopf gedrückt und meine Uhr hat eine „Schwimmeinheit“ gestartet. Ups, das sind nicht die richtigen Daten, die ich während des Marathons sehen muss. Irgendwann hatte ich dann aber auch mal alles beisammen, das richtige Programm auf meiner Uhr gestartet und konnte dann auch mein Tempo sehen. Allein auf mein Gefühl verlassen wollte ich mich nämlich nicht, da ich riskiert hätte, zu schnell loszulaufen, was ich dann hinten raus bitter rächen kann. Daher lief ich das Tempo an, das ich mir im Vorfeld für realistisch ausgemalt hatte: 4:15 min/km.

Nach 6 oder 7 Kilometern merkte ich allerdings, dass mir das Tempo nicht so leicht fällt, wie ich es mir vorgestellt hatte und dass ich etwas mehr arbeiten musste, um das Tempo zu halten, als mir lieb war. Während ich in Gedanken dabei war, ob das Tempo vielleicht zu schnell wäre um es noch weitere 35 km zu halten, ob ich erschöpft wäre, oder ob das nur Kopfsache wäre, überholte mich einer der Agegroup-Männer. Der blieb dann aber nur ein paar Schritte vor mir und war gar nicht so viel schneller. Also reihte ich mich dahinter ein und versuchte, das Tempo einfach genau so mitzulaufen. Das ging tatsächlich auch sehr gut – vielleicht war es doch nur Kopfsache und das Pacing doch richtig angegangen? Allerdings merkte ich dann auch, dass wir nun nicht mehr 4:15 min/km liefen, sondern schneller. Als auf meiner Uhr die Auto-Lap von Kilometer 11 aufploppte, fing ich wieder an mein Pacing zu überdenken: 4:08 min/km war die letzte Zwischenzeit. Ich befürchtete, dass das Tempo für 42 km zu hoch sein könnte und wollte nichts riskieren.

Irgendwann auf den ersten Kilometern des Marathons wurde ich von einer der anderen Athletinnen überholt, es war Barbora Besperat aus Tschechien. In einem deutlich schnelleren Tempo (sah für mich nach unter 4er Schnitt aus) flitze sie an mir vorbei. Hui, die kann gut laufen! Ich machte mein Ding, ein Mix aus einerseits auf mein Gefühl hören und andererseits die Zeit auf meiner Uhr im Blick. Als ich bei Bent und Eva vorbeilief, die am Streckenrand standen und lauthals anfeuerten, freute ich mich riesig. So ein Abenteuer wie dieses macht nur Spaß, wenn man es gemeinsam erlebt und teilen kann. Dass ich so einen tollen Support in Nizza hatte, ist Gold wert.

Auf der zweiten von vier Runden, circa bei Kilometer 15, entschied ich mich, das Tempo zu etwas reduzieren. Ich verlangsamte ein paar Sekunden auf ca. 4:25 min/km. Bei sämtlichen Verpflegungsstellen, die alle zwei Kilometer kamen, ging ich wenige Schritte, trank zwei drei große Schlucke Wasser aus den Bechern und lief weiter. Klar, das kostete natürlich jedes Mal ein paar Sekunden, ich sah es aber eher als Investition. Mir war es wichtiger, mich jetzt gut zu verpflegen und besonders viel zu trinken (es war wirklich warm!) als vermeintlich ein paar Sekunden zu sparen. Denn diese wenigen gesparten Sekunden bringen mir am Ende des Tages überhaupt gar nichts, wenn ich total hochgehe, weil ich dehydriert bin. Das „neue“ Tempo war die absolut richtige Entscheidung. Diese paar Sekunden auf den Kilometer sind nur ein marginaler Unterschied, aber in diesem Bereich macht das bei so einem langem Rennen dann doch einen relevanten Unterschied. Und obwohl ich mein Tempo verlangsamte, wurde die Lücke nach vorne kleiner.

Ich war auf Rang 5, aber Rang 4 kam in meinem Sichtfeld immer näher. Und dann überholte ich. Nun war ich also auf Rang 4, aber das Rennen war noch lang, es konnte noch einiges passieren. Ich blieb bei meinem Tempo, das ich auch noch sehr konstant laufen konnte. Ich freute mich jedes Mal, wenn es an einer Verpflegungsstelle jemanden gab mit einem Wasserschlauch, um die Athleten abzukühlen. Das tat wirklich gut und machte die Sonne und die Hitze in Kombination mit meiner Cap und Sonnenbrille erträglich.

Aber meine Füße schmerzten. Genauer gesagt meine Fußsohlen. Das hatte ich noch nie und dieses Gefühl kannte ich nicht. Es gab einen kurzen Abschnitt bei dem Lauf, wo tatsächlich jeder Schritt unangenehm war. Ich probierte, meinen Schritt etwas anders zu setzen, supinierte den Fuß mehr, sodass ich mehr über die Außenkante lief als über die Sohle. Dann versuchte ich, mehr über die Ferse zu laufen. Irgendwie war das aber alles nicht so toll. Im weiteren Verlauf des Rennens legte sich das unangenehme Gefühl. Ich weiß nicht, ob es daran lag, weil ich es ausgeblendet hatte oder weil es besser wurde. Rückblickend betrachtet hatte ich es irgendwann wahrscheinlich einfach ausgeblendet, denn im nach Überqueren der Ziellinie kam es wieder. Vielleicht waren meine Schuhe zu eng geschnürt? Vielleicht waren es auch die Blasen unter meinen Fußsohlen? Wie auch immer, ich kam zurecht, ich lief einfach weiter ohne mich groß ablenken zu lassen. Dass nicht alles reibungslos läuft ist bei so einem ewig langem Wettkampf vorprogrammiert und alles andere lief ja bislang ohne große Probleme.

Ungefähr bei der Halbmarathon-Marke machte ich einen weiteren Platz gut. Ich war auf Rang 3. Ein richtig gutes Gefühl. Würde ich das über die noch vor mir liegenden 21 km verteidigen können? Vor mir fuhr ein Inline-Skater mit einer Weste mit großer pinker 3 darauf. Das war also mein „Begleitfahrzeug“. Die Leute am Streckenrand feuerten mich an, es war eine grandiose Stimmung. Und hier und da hörte ich meinen Namen durch die Moderatoren. Das fühlte sich alles unwirklich an. Diese Mischung aus Höhenflug bei gleichzeitig großer körperlicher Anstrengung, während das Rennen einen Wandel annahm, den ich nicht erwartet hätte. Dass ich tatsächlich auf Treppchen-Kurs bin. Und dass einer der begehrten Qualifikations-Slots für die Ironman-WM in greifbare Nähe kam. Jetzt war meine wichtigste Aufgabe, diese Position zu verteidigen. Ich wollte nichts mehr riskieren und lief „auf Sicherheit“. Das bedeutete, dass ich versuchte, mein Tempo von ca. 4:25 min/km konstant aufrecht zu erhalten und auch, die Euphorie nicht in Beschleunigung umzuwandeln. Es kann noch viel passieren, das Rennen ist noch lang. Ich ging an den Verpflegungszonen konsequent immer ein paar Schritte, statt schnell durchzulaufen, trank ein paar Schlucke Wasser, lief weiter. Und das ging super. Aber es wurde lang. Auf der dritten Runde sehnte ich mich, dass endlich die vierte und letzte Runde beginnt.

Dann bog ich auf die vierten Runde ein. Noch einmal bis zum Flughafen, dann wenden, dann zurück ins Ziel. Ich sog die Stimmung am Streckenrand ein. Als die letzte Wende kam und die letzten 5 km des Rennens vor mir lagen, hatte ich noch immer meine dritte Position gehalten. Bents Worte von vor dem Wettkampf gingen mir wieder durch den Kopf: „Genieß es, heute ist die Belohnung für die letzten Wochen!“ Und das tat ich. Ich genoss es. Unzählige Stunden Training, Fleiß und Herzblut in Vorbereitung auf diesen Tag – dass ich so ein überragendes Rennen bekommen würde, war die allerbeste Belohnung. Mit diesem Glücksgefühl lief ich die letzten Kilometer in Richtung Ziel. Nach gut 2:58 Stunden bog auf die Zielgerade ein, lief durch den stimmungsvollen Korridor über den Teppich mit applaudierenden Zuschauern links und rechts.

Ich strahlte übers ganze Gesicht und lief mit leuchtenden Augen dem Zielbogen entgegen mit dem ehrlichen Gefühl der Freude, des Stolzes und der Erleichterung.

3,8 km Schwimmen, 170 km + 2400 m Radfahren, 42 km Laufen.
9:25:21 Stunden und Platz 3 (Female Pro)

Podium im Ironman-Debüt, WM-Quali und was danach kam

Da stand ich also im Zielbereich, ein mehr als erfolgreiches Ironman-Debüt in den Beinen. Wie glücklich ich war, stand mir ins Gesicht geschrieben. Aber ich war auch erschöpft. Schnell fand ich Bent und freute mich so, ihn zu sehen. Zum Glück durfte er dann auch in den Zielbereich kommen.

Ich war schon in Begleitung der Dopingkontrolle bzw. des Chaperons, die mich nicht aus den Augen ließ, bis ich die Dopingkontrolle abgeschlossen hatte. Aber erst kam noch die Flower-Ceremony, die direkt nach meinem Zieleinlauf im Zielbereich stattfand. Feierlich wurden wir aufgerufen, und es war mir eine große Ehre, das Podium mit der amtierenden Weltmeisterin Lucy Charles-Barclay aus Großbritannien (1) und der talentierten Triathletin Barbora Besperát (Tschechien) zu teilen.

Am Tag darauf fand die eigentliche Siegerehrung statt, und es wurden auch die Slots für die Ironman-WM im September vergeben. Es gab insgesamt zwei Pro-Slots in dem Rennen, also theoretisch für die Erst- und Zweitplatzierte. Da Lucy aber ja bereits einen Slot hatte und diesen jetzt auch erfolgreich validiert hatte, gingen die Slots an Platz zwei und drei. Das hieß also für mich: Ich darf an der Ironman-WM im September teilnehmen und mich mit den Allerbesten messen.

Seit 2023 ist die Austragung der Ironman-WM auf Hawaii aus Kapazitätsgründen nicht mehr so möglich wie gehabt. Daher wurde 2023 als weiterer Austragungsort Nizza benannt. In 2023 fand die Ironman-WM der Herren in Frankreich statt, während die Frauen-WM 2023 in Kailua-Kona, Hawaii, wie gewohnt ausgetragen wurde. Dieses Jahr ist es andersherum, sodass ich mir in Nizza einen WM-Slot gesichert habe. Ich persönlich finde das super und freue mich darauf, da mir die Strecke liegt.

Wie geht es weiter mit der Karriere im Profitriathlon?

Der unerwartete Slot für die WM hat meine weitere Saisonplanung etwas umgestellt. Ich habe den Slot natürlich angenommen, sodass ich im September wieder in Nizza an der Startlinie stehen werde.

Aber ich bin eben auch Ärztin. Der Sport steht für mich in der Prioritätenfolge nach wie vor hinter der Neuroradiologie. Das hat zwei wesentliche Gründe – einerseits bin ich gerne Ärztin und möchte meinen Beruf weiter ausüben. Andererseits bin ich im Triathlon noch zu neu, daher fehlen mir Sponsoren, die es mir ermöglichen würden, den Sport hauptberuflich zu betreiben.

Daher ging es am Dienstag, zwei Tage nach dem Ironman in Nizza, genauso weiter wie vorher. Eigentlich hat sich für mich nichts verändert. Mein Wecker hat wie immer morgens geklingelt, ich bin aufgestanden, in die Klinik gefahren und habe gearbeitet – als wäre nichts passiert. Ich war direkt wieder in einer anderen Welt. Weit weg vom Triathlon und der Mittelmeersonne. Es fühlte sich an, als wäre das Ganze schon Wochen her, dabei waren es gerade einmal zwei Tage. Meine Beine erinnerten mich dann aber sehr wohl daran, dass das Rennen erst zwei Tage her war.

Für mich persönlich ist meine „duale Karriere“ zwischen Uniklinik und Sport aktuell eine besondere Situation und bietet tagtäglich Herausforderungen. Die Kombination gibt mir im Umgang mit dem Sport (das heißt auch im Umgang mit Erfolgen und Niederlagen) aber eben auch eine gewisse beruhigende Basis – denn so sehr es auch Spaß macht – Sport ist nicht alles.

Danke an all diejenigen, die mich verständnisvoll, unterstützend und liebevoll begleiten, sei es im Sport oder „drumherum“. Das ist für mich das Allerschönste.

Danke auch für eure zahlreichen Glückwünsche, fürs Daumen drücken und Mitfiebern!

Top 3 Ergebnisse

SwimT1BikeT2RunOverall
🥇🇬🇧 Lucy Charles-Barclay50:00 (1)4:095:16:44 (3)2:372:49:54 (1)9:03:22
🥈🇨🇿 Barbora Besperat1:07:05 (10)4:165:13:37 (1)2:252:52:41 (2)9:20:01
🥉🇩🇪 Merle Brunnée1:05:22 (9)4:415:13:41 (2)3:032:58:35 (3)9:25:21

Dämmermarathon Mannheim: Platz 1 und Sub 3 Stunden!

Der Mannheimer Marathon ist ein Wettkampf, mit dem ich viele Erinnerungen verbinde. 2022 wollte ich unbedingt wieder teilnehmen. Und es hätte kaum schöner sein können.

Ort Mannheim, Deutschland
Zeit / Platz 2:57:18 / 1st

Weltmeisterin im Langdistanz-Duathlon 2021!

Wie ist die Idee für die WM-Teilnahme entstanden? Wie habe ich mich vorbereitet? Wie lief das Rennen? In diesem Beitrag teile ich meine Erlebnisse rund um den Powerman in Zofingen!

Ort Zofingen, Schweiz
Zeit / Platz 7:07.27 / 1ST