Ein weltmeisterliches Wochenede
Der September 2024 war voller sportlicher Höhepunkte. Und zwei davon fanden sogar am selben Wochenende statt: das Halbfinale der CEWC (Cycling Esports World Championships) und zwei Tage später die Langdistanz Duathlon WM in Zofingen. Nur zwei Wochen sollte die Ironman WM in Nizza stattfinden. Dieser straffe Zeitplan forderte ein paar Entscheidungen. Sollte ich priorisieren? Nicht an allen Events teilnehmen? Nicht All-In gehen in Zofingen, um frisch und fit für Nizza zu sein? Auf Zofingen verzichten, um die letzten wichtigen Wochen vor Nizza noch anständig trainieren zu können? Meine Qualifikation für das Halbfinale der Cycling Esports WM aufgeben? Fragen über Fragen, die mir in den letzten Wochen durch den Kopf gingen und die ich mit einigen meiner Trainingspartner durchdiskutierte.
Ich entschied mich letztendlich dafür, an allen drei Veranstaltungen teilzunehmen, was in meinem Umfeld teilweise auf Verwunderung stieß. Aber jede einzelne Veranstaltungwar mir wichtig:
- Die Chance, mich durch einen Top-20-Platzierung im Halbfinale der CEWC für das große WM-Finale zu qualifizieren, war eine große Motivation. Denn das CEWC-Finale sollte als spektakuläres Live-Event vor Ort in Abu Dhabi stattfinden und zu gerne würde ich bei diesem Abenteuer dabei sein.
- In Zofingen als amtierende Weltmeisterin im Langdistanz Duathlon meinen Titel zu verteidigen war aber eben auch Ehrensache für mich. Außerdem ist der Powerman in Zofingen so eine besondere Veranstaltung, die in Zofingen eine jahrelange Tradition hat und mit Herzblut organisiert wird. Auch darauf wollte ich nicht verzichten, obwohl gerade einmal ein Tag Pause zwischen CEWC-Finale und Duathlon-WM waren.
- Und die Ironman WM? Die Qualifikation in Nizza kam im Juni ja eher überraschend für mich, sodass dieser Programmpunkt in meiner ursprünglichen Saisonplanung gar nicht auftauchte. Ich freute mich darauf, mit den weltbesten Triathletinnen anzutreten und war selbst gespannt, wie ich mich in einem dicht gepackten Feld voller talentierter Athletinnen schlagen würde. Also noch ein Wettkampf, den ich bestreiten wollte.
Ich entschied mich, an allen drei Events teilzunehmen und mein Bestes zu geben.
So fing das weltmeisterliche Wochenende also an. Freitag, zwei Tage vor der Duathlon WM, hatte ich mir einen Tag Urlaub genommen. Ursprünglich dafür vorgesehen, dass ich ausreichend Kraft für das Rennen sammeln konnte, um alles zu packen und in Ruhe in die Schweiz zu fahren. Als der Termin für das CEWC Halbfinale bekannt gegeben wurde, stellte sich dieser Tag dann aber doch etwas anders dar und alles drehte sich um das (virtuelle Indoor) Radrennen am Abend. Wie genau das alles ablief und wie man sich so ein Event vorzustellen hat, schreibe ich in meinem CEWC-Bericht. Long Story short: Im Halbfinale wurde ich Vierte!! Mein Platz für das große Live Finale war also sicher!! Ein super Start in das Wochenende und ein riesiger Schub an Motivation. Race 1 von 3 erfolgreich gemeistert.
Noch am selben Abend, nach nur wenigen Minuten Cool-Down, machte ich mich mit meiner Freundin Julia auf den Weg in die Schweiz. Kurz nach Mitternacht kamen wir dort an.
Komplikationen am Tag vor dem Rennen
Am Tag nach dem CEWC Halbfinale, also am Tag vor der Duathlon WM, gab es noch einige Programmpunkte: die obligatorische Wettkampfbesprechung, eine letzte kurze Aktivierung auf dem Rad mit Julia, bei der wird einen Teil der Strecke abgefahren sind und ein kurzer gemeinsamer Lauf. Mein Rad und all mein Equipment für das Rennen musste ich auch noch vorbereiten: Aufpumpen, Werkzeug für den ungünstigen Fall eines Defekts verstauen, Verpflegung richten. Ein simpler Volkslauf ist im Vergleich zu einem internationalen Multisportevent wirklich deutlich unkomplizierter. Und natürlich war ein Programmpunkt ganz oben auf der Tagesliste priorisiert: ordentlich viele Kohlenhydrate zu essen. Der Tag verging wie im Fluge und so richtig zur Ruhe kam ich nicht.
Abends kam dann aber noch eine gute Neuigkeiten zu einem Konflikt, der sich am Vormittag im Elite-Briefing von World Triathlon anbahnte und der zu großen Diskussionen und Unverständnis geführt hatte. Uns wurde nämlich mitgeteilt, dass es aufgrund einer Baustelle an einem kurzen Stück der Radstrecke eine Fahrbahnverengung käme, bei der man als Radfahrer dann im Gegenverkehr fahren müsste. Eine Bauampel würde hier für einen geregelten Ablauf im Alltag sorgen. Diese Ampel würde auch im Rennen aktiv sein. Und der Autoverkehr auf der Gegenspur würde nicht gesperrt werden. Die Konsequenz war laut Briefing: Ist die Ampel rot, haben alle Athleten zu halten und bis Grün zu warten, sonst droht eine Disqualifikation. Bitte was? Sollte womöglich eine Ampel das Rennen verzerren, weil manche Athleten zufällig eine Rotphase erwischten und andere nicht? Es startete eine aufgebrachte Diskussion. Eine zufriedenstellende Lösung konnte nicht gefunden werden und wir Athleten waren frustriert. Abends kam dann aber glücklicherweise doch die Entwarnung, dass die Ampel ausgestellt werden würde und zwei Helfer manuell den Verkehr regeln würden, sodass kein Athlet abstiegen und warten müsste.
Der große Tag des Rennens: von neuen Gefühlen, einer ungewohnten Renndynamik und einem sagenhaften Erfolg
Der Renntag startete früh. Es kam schon kurz fast das Gefühl von Routine auf. Schließlich war ich hier in Zofingen nun schon zum vierten Mal. Als ich mich zum Veranstaltungsgelände aufmachte, kam mir alles bekannt vor – das kleine Städtchen, die kurzen Wege, noch nicht viel los auf den Straßen, außer ein paar nervöse Athleten, die alle in dieselbe Richtung unterwegs waren. Es herrschte dadurch eine gewisse Ruhe, obwohl mir klar war, dass ein langer Tag vor mir lag, der alles andere als „ruhig“ werden würde.
Nachdem ich alle meine Sachen in der Wechselzone bereitgelegt hatte, lief ich mich ein. Ich traf Nikola aus der Slowakei, die ich bei meiner ersten Teilnahme in Zofingen kennengelernt hatte und mit der ich seitdem immer wieder in Kontakt bin. Ich freute mich sehr, sie zu sehen. Denn bei Nika habe ich das Gefühl, dass ich nicht gegen sie das Rennen bestreite, sondern mit ihr. Und dieses Gefühl der freundschaftlichen Gelassenheit lag über der Nervosität vor dem Start. Natürlich wollte ich mein Bestes an diesem Tag aus mir rausholen, ich hatte ja schließlich auch einen Titel zu verteidigen und setzte mir einen gewissen Druck, eine Topleistung zu liefern. Das war ehrlicherweise keine ganz leichte Ausgangsituation für mich. Aber andererseits war ich trotzdem in diesem Jahr etwas gelassener als in den vergangenen Jahren. Ich denke, das lag auch gerade deshalb daran, dass ich mehrere sportliche Höhepunkte so kurz nacheinander hatte. Das Rennen in Zofingen war für mich ein „Baustein“ des Gesamtpakets dieser grandiosen Saison, in der ich schon einige tolle Erfolge erreicht habe, auf die ich stolz zurückblicke. Mit dem Finale der CEWC und der Ironman WM habe ich ja auch noch zwei große Abenteuer vor mir. Sollte diese „Mehrbelastung“ also am Ende sogar ein (mentaler) Vorteil für mich sein?
Der Startschuss fiel, alle rannten los. Melanie war bereits nach wenigen hundert Metern ein gutes Stück vor allen anderen inklusive mir. Irgendwann bildete sich ein kleines Tempogrüppchen aus Nikola Čorbová, Maja Betz und mir. Maja lief nach ein paar Kilometern eine kleine Lücke raus, Nika ließ etwas mit dem Tempo nach. Also waren wir irgendwann alle verstreut und machen unser eigenes Ding. Ganz anders als in den letzten Jahren, als wir immer als Pack unterwegs waren. Maja hatte ich immer in Sichtweite, aber ich machte mir schon Gedanken über die Radstrecke. Eins war auf jeden Fall jetzt schon klar: wenn Melanie das Tempo vorne im ersten Lauf so halten würde, würde sie mit einem kleinen Zeitpuffer auf das Rad steigen und würde dann erst einmal allein vorne fahren. Auch das ganz anders als im letzten Jahr, wo wir die komplette 150 km lange Radstrecke Katz und Maus gespielt hatten und ich mit wenigen Metern vor ihr die Gejagte war.
Als sich die Laufstrecke dem Ende näherte, schaute ich auf meine Uhr und mir war bewusst, dass ich ein kleines bisschen langsamer war als im letzten Jahr. Bin ich nicht fit genug? Bin ich müde von Freitag Abend? Rächt sich nun die Erkältung in der Hauptvorbereitungsphase während meines Trainingslagers? Ist es zu früh, sich über solche kleinen Zeitunterschiede Gedanken zu machen? Ich wusste es nicht. Jedenfalls lief ich nach gut 40 min in die Wechselzone, direkt hinter Maja. Die ersten 10 km waren geschafft, die Beine natürlich etwas mitgenommen insbesondere von den steilen Höhenmetern, welche die Strecke zu bieten hat.
Ich wechselte etwas schneller, sodass ich von uns beiden als erstes aus der Wechselzone lief und auf mein Rad hüpfte. Ich war nun also an Position 2, den Abstand nach vorne wusste ich nicht. Melanie war jedenfalls außerhalb meiner Sichtweite. Ich konzentrierte mich auf die Strecke und die Werte, die mir mein Wattmesser anzeigte.
Kilometer für Kilometer flogen an mir vorbei. Das Gefühl war ein komplett anderes als im letzten Jahr. Ich war allein, niemand direkt vor oder hinter mir. Mein Rad, mein Wattmesser, die Strecke – ich spulte ab, was ich trainiert hatte. Den Rundkurs kannte ich mittlerweile gut, ich kannte die Schwierigkeiten und Chancen der Strecke genau. Ich bin immer noch unschlüssig, ob es nun besser für mich war, dass ich allein mein Tempo gefahren bin oder ob ich mir insgeheim doch wieder ein spannendes Duell gewünscht hätte. Ein ist klar: das Duell hat der Radstrecke im letzten Jahr deutlich mehr Wettkampf-Charakter verliehen. Und dieses Wettkampfgefühl macht es für mich sonst eigentlich leichter, sich auf einen Wettkampf einzulassen. Denn diese Belastung, die während eines solch stundenlangen Wettkampfs zu meistern ist, ist nichts, das man „mal eben so“ an einem beliebigen Sonntag leisten kann. Das Wettkampfgefühl und „der große Tag“, sind das, was mir das gewisse Etwas an Antrieb gibt – das fehlte etwas.
Meine Freundin Julia stand am Streckenrand und hat mir nach den ersten 35 km der Radstrecke den Stand zugerufen. Der Abstand nach vorne auf Platz 1 war wohl konstant geblieben, nach hinten hatte ich eine Lücke herausgefahren. Ich war froh, dass Julia mitgekommen war nach Zofingen. Bent hatte einen anderen wichtigen Termin, sodass ich sehr glücklich war, als Julia zusagte mitzukommen. Und so gesehen war das gar nicht das erste Mal, dass sie mich in Zofingen anfeuerte. Denn letztes Jahr stand sie überraschend an der Strecke. Sie war mit ihrer Familie auf der Rückreise aus dem Italienurlaub und legte in Zofingen einen Zwischenstopp ein, als sich herausstellte, dass das zeitlich genau passte.
Ich bog auf die zweite Radrunde ab, die ersten 50 km auf dem Rad waren geschafft. Ich kam wieder an der Wechselzone vorbei, fuhr hoch zum Anstieg im Mühletal. Immer noch allein. Ich machte mein Ding. Ich hatte meine Werte im Blick, versuchte mich in den Abfahrten so aerodynamisch wie möglich auf dem Rad zusammenzufalten, verpflegte mich regelmäßig und alles lief eigentlich gut. Nach anderthalb Radrunden kam das nächste Update von Julia: der Abstand nach vorne wäre kleiner geworden. Als ich nach 100 km auf die dritte Radrunde kam und mich zum dritten Mal dem Mühletal näherte, sah ich Melanie. Sie musste deutlich langsamer geworden sein, denn ich war ganz kurze Zeit später direkt hinter ihr. Ich spielte in meinem Kopf schon Szenarien ab, wie das Rennen jetzt wohl weitergehen würde. Kam jetzt also doch noch das Duell zwischen und beiden? Als ich wenige Meter hinter ihr war, wollte ich eigentlich erst noch hinter ihr bleiben, um ein Gefühl für ihr Tempo zu bekommen. Oder sollte ich lieber direkt vorbei und schnell weg? Ich war unschlüssig. Die Entscheidung wurde mir dann aber eh abgenommen. Sobald Melanie mich hinter ihr wahrgenommen hatte, hörte sie auf zu treten. Das war wahrscheinlich das, mit dem ich in dieser Situation am wenigsten gerechnet hätte und ich war kurz verunsichtert, wie ich reagieren sollte. Zu sehr fühlte ich mich an 2023 erinnert, als es zu einer ähnlichen Situation kam, als ich sie nach 120 oder 130 Kilometern Führungsarbeit vor mich lassen wollte, damit sie auch mal vorfährt, sie dann aber einfach aufhörte zu treten. Das Spiel wollte ich nicht wieder spielen. Dann bin ich also vor, eine andere Wahl hatte ich ja eh nicht. Ich trat kräftig in die Pedale und fuhr schnell an ihr vorbei den Berg hoch. Was ich nicht wusste: sie gab kurz danach auf und beendete das Rennen. Davon wusste ich natürlich nichts, also versuchte ich auf den verbliebenen 50 km der noch einiges an Zeit rauszufahren.
Ich kam in die zweite Wechselzone, ohne zu wissen, dass ich einen großen Zeitpuffer auf Platz 2 habe. Ich ahnte zwar, dass Melanie vielleicht ausgestiegen wäre, war mir aber nicht sicher. Julia hatte mir nämlich circa bei Kilometermarke 130 etwas in die Richtung zugerufen, ich war mir aber nicht sicher, ob ich richtig gehört hatte, als ich bei dem schnellen Tempo an ihr vorbeifuhr. Gleiches galt für die Moderation in der Wechselzone – als ich etwas von „17 Minuten Abstand“ hörte, war ich mir nicht zu 100% sicher, ob ich diese Lücke nun auf Platz 2 oder Platz 3 haben würde. Sicher war ich mir dann erst gegen Ende der ersten von vier Laufrunden, als mir nämlich Maja entgegengelaufen kam und vor ihr das Führungsfahrzeug mit dem Schild „2. Frau“ fuhr. Das änderte das Renngeschehen drastisch.
Ich hatte die Gewissheit, dass ich mehrere Kilometer in Führung lag. Das ermöglichte mir, die noch verbliebenen anderthalb Rennstunden in meiner „Komfortzone“ zu absolvieren, nicht zuletzt mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass in zwei Wochen ja schon der nächste (noch längere!) Wettkampf anstehen würde. Selbstverständlich liefen sich die letzten >20 km trotzdem nicht wie von selbst und es war immer noch ein hartes Stück Arbeit und von Runde zu Runde fühlten sich die harten Anstiege steiler an. Ich hatte aber wenig Druck, ein bestimmtes Tempo laufen zu „müssen“, sondern lief so, dass ich mir sicher war, dass ich den Lauf auf jeden Fall ins Ziel bringen könnte. Als sich das Rennen dem Ende näherte und ich auf der letzten Laufrunde war, konnte ich es sogar genießen: mein dritte WM-Titel in greifbarer Nähe!!
Ich lief in Richtung Wechselzone und bog in den Zielkorridor ab. Die letzten Meter in Richtung Ziellinie bleiben unvergesslich. Vorbei an den applaudierenden Zuschauern über den blauen Teppichboden, das Zielbanner bereit, um jubelnd in die Höhe gestreckt zu werden.
WELTMEISTERIN!
Race 2 von 3 erfolgreich gemeistert. Mit einer Sammlung an Emotionen fuhren wir noch am selben Abend nach der Siegerehrung zurück nach Heidelberg: Erschöpfung, Freude, Erleichterung, Hochmut, Stolz.
Goldmedaille nach 7:54:55 Stunden:
10,7 km + 220 Höhenmeter Laufen (40:53 min).
148 km + 1700 Höhenmeter Radfahren (4:12:15 Stunden).
26,3 km + 660 Höhenmeter Laufen (1:59:42 Stunden).
7:54:55 Stunden Anstrengung und Konzentration nach einer intensiven Vorbereitung mit unzähligen Trainingsstunden, Schweiß und Fleiß. Die Goldmedaille heimzubringen, ist die schönste Belohnung dafür.