Fotos: Arne Mill
Mein erstes Radrennen – Fragen über Fragen.
Einen Tag nach der DM im Einzelzeitfahren fand die DM Straße statt. Mein erstes Radrennen und dann direkt die DM in einem hochkarätigen Feld auf einer anspruchsvollen Strecke.
Ich hatte kein gutes Bauchgefühl vor dem Rennen. Was würde auf mich zukommen? Wie ist das Fahren in hohen Geschwindigkeiten in so einem großen, dichten Feld? Was passiert wenn ich stürze? Wie finde ich die richtige Positionierung im Feld? Wie verpflege ich mich? Wie ist das Rennen zu pacen? Würde ich das Rennen überhaupt ins Ziel bringen oder sammelt mich der Besenwagen vorher ein, weil ich nicht mithalten kann? Was mache ich wenn ich einen technischen Defekt habe? Was muss ich alles bedenken? Fragen über Fragen.
Der Tag des Rennens
Um 12 Uhr was noch die Mannschaftsleiter-Sitzung, zu der ich ging. Ich habe zwar weder Mannschaft noch Team, dachte aber, dass vielleicht doch noch die ein oder andere Info gesagt werden könnte, also ging ich hin, quasi als mein eigener Mannschaftsleiter. Im Anschluss fuhr ich direkt zum Start nach Donaueschingen, wo um 14 Uhr der Startschuss fiel. Bis dahin musste ich noch einiges bedenken: mein Rad fertig machen, aufpumpen, checken ob alles funktioniert, Startnummer anbringen, Zeitmesschip befestigen, umziehen, Mittagessen, Sonnencreme, Warmfahren, Einschreiben, und so weiter.
Das Rennen: selektive Strecke und viele neue Erfahrungen
Die ersten drei einhalb Kilometer des Rennens waren neutralisiert, das heißt, dass das eigentliche Rennen erst nach 3,5 km am „scharfen Start“ begann. Aber auch auf diesem ersten Stück habe ich schon gemerkt, dass ein Radrennen in so einem großen und dann noch überaus starken Feld eine ganz andere Kategorie ist als das, was ich bislang so gemacht habe. Spätestens ab dem scharfen Start musste ich ständig zusehen, mich nicht abdrängen zu lassen, nicht zu weit nach hinten ins Feld zu kommen und war hochkonzentriert, die anderen Fahrerinnen im Blick zu haben, nicht nur um einen Sturz zu vermeiden. Das war das erste Mal für mich, Schulter an Schulter in einem großen Feld zu fahren. Und es fühlte sich anders an als jede Gruppenfahrt, die ich bislang mit meinem Verein oder Freunden gemacht habe. Immer wieder ging mir durch den Kopf, dass ich wohl diejenige mit den wenigsten Erfahrungen um mich herum war und ich war selbst gespannt, wie ich mich im Feld schlagen würde.
Die Strecke war sehr anspruchsvoll. Seitens der Veranstalter und Moderatoren wurde immer wieder der Ausdruck einer „sehr selektiven Strecke“ verwendet. Sie sollten Recht behalten: eine Strecke mit insgesamt fast 140 km und knapp 1900 Höhenmetern auf einem ca. 27 km-Rundkurs. Auf jeder Runde gab es dann mehrere kurze, aber steile Anstiege, auf denen man stets aufpassen musste, nicht aus der Gruppe hinten raus zu fallen. Denn wenn man zu langsam ist und 5 Minuten hinter dem Peleton ist, wird man aus dem Rennen genommen und darf nicht bis zum Ende mitfahren – im Ergebnis steht dann ein DNF – Did Not Finish. Mein Ziel für die DM war entsprechend, so lange wie möglich im Rennen zu bleiben, bis ich rausgenommen werde. So viel vorab: von den 86 Starterinnen wurden 60 aus dem Rennen genommen, die schnellsten 26 kamen an. Und ich gehörte dazu. Allein damit habe ich schon meine Erwartungen übertroffen!
Am ersten Anstieg ging das Spektakel los. Auf einer Länge von ca. 800 m fährt wird zum ersten Mal eine der Schlüsselstellen des DM-Rundkurses in Aasen passiert, im Durchschnitt 7,5 % Steigung und maximal 15 % in der Spitze. Ich wusste, dass ich nicht zu weit hinten im Feld in den Berg reinfahren darf, um vorne dabeizubleiben. Denn wenn ich einmal den Anschluss verlieren würde, wäre es kaum mehr möglich, wieder vorne heranzufahren. Das war bei jedem Anstieg wieder eine Herausforderung. Ständig aufzupassen, gut platziert zu sein und dann immer wieder alles geben, um dabeizubleiben.
Die Anstiege kosteten Kraft. Jedes mal aufs Neue Vollgas, jedes Mal wieder ein Puls über 190 Schläge pro Minute, jedes Mal wieder mit aller Kraft in die Pedale drücken und auch gegen Ende des Anstiegs trotz Ermüdung nicht nachlassen, um an der Spitze zu bleiben.
Auch die Abfahrten waren für mich eine Herausforderung und eine ganz neue Erfahrung. Bei bis zu -13% wurde das Tempo schneller und schneller und im Training würde ich hier mehr abbremsen, vorsichtiger fahren, langsamer um die Kurven. Teilweise gingen die Abfahrten auch direkt in eine Kurve über, nach der dann schon wieder der nächste Anstieg folgte. Zum Glück war die Strecke ein Rundkurs, sodass ich spätestens ab der zweiten Runde die Schlüsselstellen kannte und wusste, was mich erwartet.
Irgendwann, ich glaube es war auf der dritten Runde, wäre ich beinahe abgehängt worden. Kurz vor der Kuppe des einen Anstiegs fehlte mir das restliche Stück Kraft, um an der Gruppe zu bleiben. Eine kleine Lücke ging auf. In der Abfahrt sah ich, wie die Gruppe vor mir den Schwung nutze und in einem schnellen Tempo davon fuhr. Ohne Schutz durch Windschatten musste ich dann also irgendwie wieder an die Gruppe kommen. Ich wusste, dass es jetzt darauf ankam, schnell wieder aufzuschließen, sonst wären sie weg. Ich drückte und drückte, bis ich wieder am Hinterrad der anderen Fahrerinnen war. Das war knapp. Ich war aber nicht die einzige, die zu kämpfen hatte. Das Feld war mittlerweile schon deutlich ausgedünnt, aber zu sehen, dass ich weiterhin in der Spitzengruppe mitfahren konnte, weckte meinen Ehrgeiz.
Auf jeder Runde kamen wir an einer Verpflegungsstelle vorbei. Anders als bei Volksläufen gibt es hier nicht eine allegemeine Verpflegung für alle Fahrer, sondern die Teamleiter können hier ihren Fahrern Flaschen anreichen. Das stellte sich für mich als Einzelfahrerin, ganz ohne Unterstützung durch ein Team, problematisch heraus. Aber das ahnte ich schon vor dem Rennen und es blieb bis zum Start ungewiss, wie ich mich über die 4 Rennstunden verpflegen würde. Ich hatte zwei Flaschen im Rahmendreieck: eine 750 ml Flasche mit Wasser und eine 750 ml Flasche mit meinem Maltodextrin-Iso-Salz-Gemisch, das so hochkonzentriert war, dass es schon fast dickflüssig war. Für 4 Stunden Rennen wollte ich so viel wie möglich an Kohlenhydraten mitnehmen bzw. aufnehmen, dass das Energiedefizit so klein wie möglich bleibt. Dass 750 ml Wasser für 4 Stunden Rennen bei 30° in der vollen Nachmittagshitze jedoch nicht reichen würde, versteht sich von selbst. Ich hatte also nur eine Chance: darauf hoffen, dass mir einer der Betreuer der anderen Teams ebenfalls eine Wasserflasche anreichen würde. Auf jeder Runde rief ich also an der Verpflegungsstelle im Vorbeifahren an den Teams laut „kann mir bitte jemand Wasser geben? Kann mir bitte jemand Wasser geben? Kann mir bitte jemand Wasser geben?“ in der Hoffnung, dass jemand helfen würde. Ich hatte Glück. Ein Team zeigte sich sportlich und reichte auch mir eine Flasche. Auf den Runden danach reichte mir dann eine Mitfahrerin aus meinem Eracing-Team dann unverhofft zwei Flaschen, als sie mich erkannt hatte. Ohne diese Hilfe hätte ich das Rennen wohl wohl kaum überstehen können.
Bei Kilometer 80 oder 85, bei einem der Anstiege bei der „Achterbahn“ in Aasen, ging wieder kurz vor der Kuppe eine Lücke auf. Genau wie 4 oder 5 andere Fahrerinnen konnte ich das Tempo nicht mehr halten. Wie in Zeitlupe sah ich, wie die Lücke größer wurde und die Spitzengruppe auf der Abfahrt wegfuhr. Mist. Einmal zu wenig aufgepasst, zu wenig Kraft, zu wenig Biss gehabt. Da würde ich nicht wieder rankommen.
Stattdessen bildete sich aber eine zunächst Fünfer-, dann Sechsergruppe, mit der ich den Rest des Rennens als Verfolgergruppe fuhr. Das Tempo blieb weiterhin hoch und wir wechselten uns in der Führung ab, kreiselten durch. Bei den Anstiegen merkte ich, wie meine Mitfahrerinnen teilweise schwächelten, merkte aber auch, wer noch Kraft hatte. Ich sah mich innerhalb dieser Gruppe aber noch stark. Als es auf die letzte Runde ging, freute ich mich, weil ich wusste, dass ich das Rennen zu Ende fahren könnte, ohne dass wir vom Besenwagen rausgenommen und eingesammelt werden würden. Aber ich fing auch schon an zu überlegen, wie wohl die letzten paar Hunter Meter ablaufen würden.
Als wir das Schild „1 km to go“ passierten, waren wir weiterhin in der Sechsergruppe. Das Tempo wurde langsam. Sehr langsam. Ich ahnte, die die Fahrerinnen um mich herum Kraft für den Schlusssprint sammelten und wir belauerten uns gegenseitig. Keiner wollte vorne im Wind fahren. Keiner wollte Kraft verschwenden. Keine wollte den Sprint beginnen. Keiner wollte übersprintet werden. Meine Position vor Beginn des Sprints war nicht optimal. Und als ich merkte, wie es losging, trat ich so gut es geht in die Pedale. Ich wollte mitsprinten, aber die Fahrerinnen überholten mich. Hier rächte sich meine mangelnde Rennerfahrung und Taktik.
DM Platz 16
Als insgesamt 16. kam ich ins Ziel. Was für ein Rennen! Ich war stolz. Aber ich war auch völlig platt von der Anstrengung, von der Konzentration, von so vielen neuen Eindrücken auf meinem ersten Straßenrennen.
Über mein Ergebnis freue ich mich. Ohne Rennerfahrung in einem derart starken Feld auf dieser anspruchsollen Strecke vorne mitzufahren, macht Lust auf mehr. Ich freue mich schon jetzt auf das nächste Radrennen, denn das wird wird erst der Anfang von mehr gewesen sein.
Vielen Dank an den RSV Heidelberg für die Unterstützung, es ist sehr schön einen engagierten lokalen Verein mit hilfsbereiten Ansprechpartnern zu haben.